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Person

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Text für Katalogprojekt von Lukas Hoffmann, 2023.

https://www.lukashoffmann.org/

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01
Er tastete die Luft ab und suchte nach Buttons. Das sah nach Yoga aus. Mit der Zeit hatte er auch immer weniger Kontakt zu anderen Leuten. Die Leute waren schließlich hinter dem Glas und er konnte nicht zu ihnen durchstoßen. Erst saß er wochenlang in dem „Zimmer“. Dann begann er mit dem Herumlaufen. Am Ende kehrte er in das Zimmer zurück und blieb eine lange lange Zeit dort. Dann ging alles wieder von vorne los.


02
Umso länger er im Zimmer war, desto wütender wurde er auf die Gesamteinrichtung. Unsere Weltgegend, meinte er, ist eine vollkommen glatte metallene Fläche. Man muss eine Karte kaufen
um auf der Fläche zu sein. Es gab auch solche, die sich hinein geschmuggelt hatten und wieder andere, die auf der Fläche waren mit abgelaufener Karte und ohne Geld, sich eine neue zu kaufen. Die wurden auf der Fläche herum gescheucht. Sie konnten nirgends bleiben, und auch nirgends hin. Die Verwaltung der Fläche hatte für dieses offensichtliche Paradox noch keine Lösung gefunden. Denn wenn man einmal auf der Fläche war, konnte man sie kaum mehr verlassen. Vor allem die Leute mit abgelaufener Karte konnten sie eigentlich gar nicht mehr verlassen. Sie durften eine Pause machen, wenn sie krank waren oder zu sterben drohten. Allerdings kostet diese Pause etwas, was anschließend die Chance auf eine gültige Karte verringerte und zu weiterer Herumscheuchung auf der Fläche führte. Wenn dann wirklich jemand starb, kam ein
Säuberungsroboter, der ein wenig Winterräumfahrzeugen glich.


03
Er ging durch einen Wald. Schwarzgrünes Gestänge, irre hoch aufragend, mit zackigen, scharfkantigen Aufsätzen. Es war kalt und schon halb dunkel. Ein sinusförmig auf- und abschwellender Wind bog die mächtigen Säulen, die mit metallenem Hall knackten. Eine leichte Angst stieg in ihm auf, aber er beschloss ein Experiment mit ihr zu versuchen, indem er die Augen schloss und still auf seiner Stelle stehen blieb. Deutlich gewahrte er, dass der ganze Raum um ihn voll gepackt mit unsichtbaren lebenden Entitäten war, die mit sich selbst und allem anderem im Streit lagen, dass sie sich in sich verwickelten und sich verknoteten und heftig litten. Oh.

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04
Er setzte sich auf einen Baumstumpf, nachdem er diesen, in flachen Spiralen um ihn kreisend, längere Zeit betrachtet hatte. Er war, wie alle Baumstümpfe, eine Welt für sich. Max Ernst hätte darin ohne weiteres eine Stadt für Orks erkannt. Er setzte sich gründlich hin, ohne den Wunsch noch einmal auf zu stehen. Von seinem Bauch aus (Assoziation: Hara) sprießte es nach unten in den Boden aus, in langen Schwüngen, die sich mit den Wurzeln umschlingend verflochten (Assoziation: Marmorierung). Das war ein weit wucherndes Wurzelwerk, das mindestens bis zur Hügelkette reichte, über der man nichts mehr als Himmel sah. Oben trieben nur noch lose gekoppelt seine Gedanken (irgendwo im Kopf). Es war an der Zeit sich abzuschaffen. Welche Freude! Da verwandelten sich seine Gedanken in häßliche Kreaturen, die an ihm zerrten und rissen und reptiloide Krallen in seine Haut versenkten. Eine benutze einen weit überdehnten Anus um ihn zu beschimpfen (Assoziation: WWW). Die geifernden Wesen hingen mit einer Kraft an ihm, als wollten sie einen Sturz in den Tod verhindern.

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05
Er hatte sicher auch Probleme mit abgrenzender Systembildung im System seiner Gedanken. Es lief alles auseinander und zu einem Bild zusammen, in dessen Mittelpunkt er saß, wie die Spinne im Netz, gefangen, beobachtet, Signale empfangend aus all den dünnen schleimigen Fäden. Die Farbe seiner Vorstellungen war irgendwie tot (ja doch) und die Scham sprang aus dem Gebüsch wie ein Kindesentführer, wenn er an sich dachte und seinen Weg durch den Tunnel, einen spiralförmig gewundenen Tunnel aus Glas.


06
Weiter im Wald sah er ein riesiges Krebs- geschwür an einem Stamm hängen. Es sah fantastisch aus, wie ein menschliches Organ nach außen gestülpt. Die Textur war feucht, furchig und gewunden, aber auf schwarzgrün gedreht. Er streckte seine Hand danach aus, aber konnte es nicht berühren. Die Hand war sehr groß und fremd und wischte Raumflächen ab. Noch weiter ging es durch den Wald. Hinab einen schlammigen Weg, hinein in einen symmetrischen Tunnel aus schmutzdunklem Unterholz, der den zarteren Pflanzen die Luft abdrehte. Wer weiß was sich darin herum trieb, ganz nah vielleicht, aber weit genug entfernt, dass man das Schnaufen nicht hört. So ging er eine Weile beklommen, bis sich das Bild endlich öffnete, aufheiterte, freundlich verzauberte, Lichtlinien den Raum wieder kreuzend und querend durchstachen, quicklebendiger Geruch diffundierte, und so ganz waldromantisch sich alles auflockerte. Die Farne winkten ihm ruckelig

im Vorbeigehen. Glitzerwölkchen floralisierten vom Boden auf. Er machte einen flinken Sprung hoch auf einen Baum und hängte sich lässig in die Krone. Unten sah er einen Spähtrupp durchziehen, mit blitzenden schwarzen Schulterschützern.

 

07

Er stieß sich noch einmal schwungvoll
ab. Die hundertfache Erinnerung an das Hochschnellen vom Fliesenboden des Schwimmbads, ganz unten, fünf Meter kunstblaues Wasser über ihm, funkelte in ihm auf. Leicht flutsche er nach oben, seine locker hinabhängenden Arme überdeutlich fühlend. Unter ihm breitete sich weit der Wald aus. Ahhhh. Von hier aus gesehen glichen die Spähtrupps Glühwürmchen, die sich um Ganja-Blüten herum schlängelten (Assoziation: Modelleisenbahn). Das pointillistische Tarnfleck erstreckte sich bis zu einem ausgefransten Horizont, der den Eindruck machte, den Rand einer flachen Erde zu bilden. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig.


08
Zurück am Boden musste er feststellen, dass er entschieden die falschen Geräte gewählt hatte. Je eines hing nutzlos in seinen Händen. Er sah traurig aus mit den unbrauchbar von ihm herab baumelnden Gegenständen (Assoziation: Viper Room). Sie waren kunstvoll gearbeitet und

steckten vorn über gekippt im Moos. Doch flugs waren sie verschwunden.


09
Er wechselte zurück in das Zimmer. Flache Wände, wenige Öffnungen.

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010
Wie so oft hatte er das Gefühl, das Zimmer hätte kein Außen. Mitten darin die warme Stelle seines Körpers mit der unangenehm heißen Haut, die von einem subtil beißenden Film bedeckt war. Er hatte den übertriebenen Gedanken: Mein ganzer Körper eine Wunde.


011
Sicher übte das Zimmer einen Druck auf seinen Körper aus (Assoziation: Grab). Viel zu lange blieb er im Zimmer.


012
Es wurde Nacht im Zimmer. Er sah einen Film über eine uralte Person aus Japan. Er stellte sich vor, wie sie ganz nahe neben ihm unter einer Decke war. Die Person liegt regungslos wie eine Puppe. Seine Hand gleitet langsam und vorsichtig über den dürren Oberleib, den er nicht zerbrechen möchte. Er betastet das spätgotische Relief aus Knochen, Knorpel und Sehnen unter der dünnen blaugrün schimmernden Haut. Sein Finger ruht lange auf einer winzigen Ader. Das Blut, unmerklich erst, wie ein Geräusch, das erst ins Bewusstsein tritt, wenn man lang genug die Ohren gespitzt hat, bewegte sachte das Fleisch in seiner Fingerkuppe. Innen. Plötzlich schämte er sich vernichtend für den See aus Angstschweiß, den er einmal im Bett einer ganz anderen Person hinterlassen hatte. Sie hatte nie ein Wort darüber gesagt, aber vermutlich war dies der Grund, dass sie sich für jemand anders entschieden hatte.

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013
Abrupt kam das Level der Erlösung,
auf der Straße, die mit dem Zimmer verbunden war.


014
Er hatte ein Teil gefunden. Es lag bei den Müllcontainern in der Nähe. Seine Form war perfekt organisch gerundet, ganz und gar glatt. Aber es war von einer schleimigen Schicht bedeckt und erinnerte ihn an den zuckerbäckerischen Nachbau eines abgenagten Knochens. Er wollte es unbedingt mit in das Zimmer nehmen. Das Ding war enorm schwer, sein Gewicht stand in keinem Verhältnis zur Größe, aber er schleppte es in das Zimmer, legte es auf dem Fußboden ab und setzte
sich heftig atmend daneben. Der eklige Überzug verteilte sich langsam auf dem Boden. Aber mehr und mehr zerfloss auch das Objekt selbst, breitete sich bald im ganzen Raum aus und geronn schließlich zu einem großen Spiegel. Ganz flach ausgebreitet legte er sich auf den Spiegel. Von oben sah er, dass sein Körper von einer Fantasy-Aura aus Licht umgeben war.


015
Er kehrte zurück in seinen Körper und sagte, ich sehe Dich deutlich. Schon lange ahne ich Deine Anwesenheit. Ich sagte zu ihm zurück, dass er sich schämen solle.


016
Sie tastete die Luft ab und suchte nach Buttons. Das sah nach Yoga aus. Mit der Zeit hatte sie auch immer weniger Kontakt zu anderen Leuten. Die Leute waren schließlich hinter dem Glas und sie konnte nicht zu ihnen durchstoßen. Erst saß sie wochenlang in dem „Zimmer“. Dann begann sie mit dem Herumlaufen. Am Ende kehrte sie in das Zimmer zurück und blieb eine lange lange Zeit dort. Dann ging alles wieder von vorne los.

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